Wie war es für meine Eltern, als ich die Diagnose bekam? Mein Vater berichtet!




Worte für Unsagbares
 
„Werde ich an der Krankheit sterben?“ „Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht“, sagte in einem furchtbaren Moment ein Duisburger Professor zu Greta. Mein kleines tapferes Mädchen stellte mit 10 Jahren diese Frage mit kindlicher Offenheit und  furchtbarer Verwundbarkeit im Jahr 2010. Ein besonderer Tag, ein besonders schlimmer Tag.
An einem grauen Dezembertag war ich im Auto unterwegs und erhielt einen Anruf aus der Kinderklinik in Köln. Ich konnte Winter nie leiden. 
Ein freundlicher Arzt, der sagte, dass es einen Befund auf den MRT-Bildern gegeben habe. „Ist es schlimm?“ „Nein, ja.“ „Ich komme.“ „Hier sind zwei kleine Punkte, links und rechts vom Kleinhirn. Fast symmetrisch. Das sind Akustikusneurinome. Neurofibromatose II.“ „Ich habe keine Ahnung, was das ist. Sind Sie sicher?“ „Ja, da kann man sehr sicher von ausgehen.“
Später zu Hause Haltung suchen. Haltung zu etwas, was man nicht kennt und nicht einschätzen kann und was dennoch unglaublich bedrohlich mitten im Raum steht. Sehr präsent, zu präsent. Worte schaffen Realität. Eine furchtbare Realität. Eine Realität, mit der man sich nicht und nie beschäftigen wollte. Jetzt irgendwie ertragen und Greta dennoch stützen. Froh sein, optimistisch, obwohl man selbst die Worte verliert. Hoffentlich nicht die Hoffnung. Nicht darüber sprechen kann, weil es sonst zu wahr ist und wird. Eigentlich nicht auszuhalten. Das eigene Kind.
Dann Ärzte suchen, die wissen, was das ist und was zu tun ist. Eine seltene Erkrankung. Das kann lange nicht jeder. 
Aber wer? 
Kraft zusammensammeln, ins Auto setzen und losfahren. 
Aber Du hast gar keine Termine. Stimmt. Aber trotzdem. 
Die Ohnmacht überwinden. Was tun. Mit aller Kraft. Tübingen, München, Düsseldorf. 
Alle nett. Alle nehmen sich Zeit, eigentlich nicht zu glauben. 
Ein guter Typ in Tübingen, Schuhmann, junger Professor, freundlich, zugewandt. Er weiß, was das ist und bietet Hilfe an. Eine Hand, ich nehme sie. Für Greta und für uns.
Seitdem ist so viel passiert. Gretas Krankheit ist immer da, ein schwerer Verlauf. Ich stehe nur dabei und daneben. Eine sehr tapfere junge Frau. Liebe und Hochachtung, mein Kind. Sie geht ihren Weg. Das muss sie auch. Und sie ist stark. Das soll so bleiben. Sie ist mein Kind, sie bleibt mein Kind. 
Furchtbare Stunden, glückliche Stunden. Oft ist die Zeit stehen geblieben. Wir haben viel erlebt, wir haben viel gelernt. Sicher, man kann sagen, dass Greta und auch wir gut darauf hätten verzichten können. Ich weiß nicht, was ich alles dafür gegeben hätte.
 
Andreas Brenken, 28.11.2022